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Neurokutane Erkrankungen (NF1, TSC etc.)

Ansprechpartner: Prof. A. Hahn, PD K. Martakis, Frau Dr. J. Holzwarth

Neurokutane Erkrankungen oder Phakomatosen umfassen eine heterogene Gruppe von Krankheitsbildern, die mit Fehlbildungen der Haut und des Nervensystems einhergehen. Bei vielen dieser Erkrankungen bilden sich Tumore in verschiedenen Geweben. Symptome einer neurokutanen Erkrankung können bereits vor Geburt auftreten oder sich auch erst im späteren Lebensalter manifestieren. In aller Regel handelt es sich um genetisch bedingte Multisystemerkrankungen; d.h. es sind verschiedene Organe betroffen. Dies erfordert eine multidisziplinäre Betreuung in einem spezialisierten Zentrum.

Die exakte Diagnosestellung einer neurokutanen Erkrankung ist wichtig, um im Verlauf möglicherweise auftretende Symptome zu antizipieren, sodass diese frühzeitig behandelt oder sogar ganz vermieden werden können. In aller Regel wird eine genetische Diagnosestellung bzw. –sicherung angestrebt. Dies erlaubt eine genetische Beratung betroffener Familien und hat mittlerweile bei einigen Erkrankungen bereits therapeutische Bedeutung (siehe unten).

Die beiden häufigsten neurokutanen Erkrankungen sind der Tuberöse Sklerose Komplex (TSC) und die Neurofibromatose Typ I (NF 1 oder Morbus von Recklinghausen).

 

Tuberöse Sklerose Komplex (TSC)

Die Häufigkeit des TSC beträgt etwa einen Fall auf 6000 Neugeborene. Der Erbgang ist autosomal-dominant, meist liegen aber sporadische Keimbahnmutationen vor; d.h. es gibt in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle keine weiteren Betroffenen in der Familie. Ursache können Mutationen in zwei Genen, TSC1 und TSC2, sein. Das Gen TSC1 kodiert für das Protein Hamartin und das Gen TSC2 für das Protein Tuberin. Beide Proteine zusammen bilden ein sog. funktionelles Heterodimer, so dass Mutationen in einem der beiden Gene zu einem Funktionsverlust des Gesamtkomplexes führen. Durch die herabgesetzte Funktion des Komplexes werden über eine vermehrte Aktivität des mTOR-Signalwegs eine Vielzahl von Zellfunktionen im Hinblick auf Zellgröße, Zellteilung und Zellwachstum beeinflusst.

Fast alle Patienten zeigen sog. White Spots bzw. hyopomelanotische Flecken. Diese Depigmentierungen sind bei älteren Patienten und gebräunter Haut oft gut sichtbar; bei Säuglingen muss danach aber mit ultraviolettem Licht („Wood-Lampe) gezielt gesucht werden. Weitere charakteristische Hautsymptome sind bilateral symmetrische Angiofibrome des Gesichts (Adenome sebaceum), die von vielen Patienten als kosmetisch störend bzw. stigmatisierend empfunden werden. Gutartige Tumoren unterhalb der Fingernägel werden als sog. Koenen-Tumoren bezeichnet.

Symptome, die bereits im Neugeborenen- oder Säuglingsalter auftreten können, sind kardiale Rhabdomyome und Veränderungen des Augenhintergrundes (retinale Astrozytome). Die Herztumoren sind prinzipiell gutartig und bilden sich meist ohne spezifische Therapie im Verlauf zurück. Selten kann es aber auch zu Rhythmusstörungen oder einer Einschränkung der Herzfunktion kommen. Mit zunehmendem Alter werden Tumoren und Zysten in der Niere sichtbar. Diese Angiomyolipome können zu Einschränkungen der Nierenfunktion und Nierenblutungen führen. Eine selten, bei jungen Frauen auftretende Komplikation ist die sog. Lymphangioleiomyomatose der Lunge.

Symptome des zentralen Nervensystems umfassen subenpendymale Knötchen, subependymale Riesenzellastrozytome (SEGA) und kortikale Tubera. Bei all diesen Veränderungen handelt es sich um gutartige Tumoren bzw. sog. Hamartome. Die Riesenzellastrozytome können aber zu einem Aufstau des Nervanwasserabflusses (Hydrozephalus) führen. Die kortikalen Tubera können zu epileptischen Anfällen, Wesensänderungen, Verhaltensauffälligkeiten und neurokognitiven Problemen führen. Bis zu 90% der Patienten mi TSC entwickeln eine Epilepsie. Der TSC ist häufigste Ursache eines West-Sydroms, einer schwere verlaufende Epilepsie mit Beginn im Säuglingsalter.

Für die Behandlung von epileptischen Anfällen, von Angiomyolipomen der Niere und von Riesenzellastrozytomen des Gehirns ist Rapamycin (Everolimus, Sirolimus) zugelassen. Positive Erfahrungen mit diesem Medikament liegen auch für die topische Therapie beim Adenoma sebaceum und bei kardialen Rhabdomyomen vor.

 

Neurofibromatose Typ 1 (NF 1, Morbus von Recklinghausen)

Die Prävalenz der NF 1 beträgt circa 1 zu 3000. Man schätzt, dass es ca. 40.000 Betroffene in Deutschland gibt. Damit ist die NF 1 die häufigste monogenetische Erkrankung des Nervensystems. Der Erbgang ist autosomal-dominant. In etwa 50% der Fälle handelt es sich um Neumutationen. Ursächlich sind Mutationen im NF 1-Gen. Dieses große Gen mit 60 Exons kodiert das Protein Neurofibromin, ein Signalprotein, das eine wichtige Rolle im sog. RAS-Signalweg spielt. Ähnlich dem TSC handelt es sich um eine Multiorganerkrankung mit einem weiten Spektrum kutaner, knöcherner und neurologischer Symptome mit Neigung zu gut- und bösartigen Tumoren des Nervensystems.

Typische Hautsymptome sind Café-au-lait-Fecken und kutane Neurofibrome, kleine derbe Tumore, die von den peripheren Nerven ausgehen und keine Entartungsrisiko haben. Von etwas tiefer liegenden Nervenstrukturen ausgehende subkutane Neurofibrome sind von weicher Konsistenz und können infiltrierend wachsen. Eine komplette Resektion ist gerade bei Tumoren im Gesichtsbereich häufig nicht möglich. Plexiforme Neurofibrome, die bspw. von den Spinalnerven ausgehen, sind in aller Regel inoperabel und können entarten. Prinzipiell besteht ein erhöhtes Risiko für alle Arten von Tumoren, insbesondere für Astrozytome, Glioblastome oder Phäochromozytome. Ein weiterer typischer Tumor des Zentralen Nervensystems bei NF 1 ist das Opticusgliom. Eins solcher von der Ummantelung des Sehnervens ausgehender niedriggradig maligner Tumor entwickelt sich in den ersten sechs Lebensjahren bei rund 15% der Patienten mit NF 1. Nur bei etwa 10% der Betroffenen kommt es zu einer Größenprogredienz. Die Behandlung solcher Tumoren ist schwierig. Neben konventionellen Maßnahmen wie Chemo- und Strahlentherapie gibt es für das Opticusgliom und auch andere Symptome der Erkrankung erste Behandlungsversuche mit Kinase-Inhibitoren und auch anderen Substanzen, die die Aktivität des RAS-Signalwegs (siehe unten) modifizieren. In der Behandlung von Tumoren bei Patienten mit NF 1 besteht eine enge Kooperation mit der hiesigen Abteilung für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie.

Weitere Symptome, bei denen differentialdiagnostisch an eine NF 1 gedacht werden sollte sind Trichterbrust, Säbelscheiden-Tibia und eine im Jugendalter auftretende Skoliose. Pathogmonisch für eine NF 1 sind auch eine Keilbeinflügeldysplasie und Irisheterochromasien (Lisch-Knötchen). Zudem finden sich gehäuft eine Makrozephalie, ein Kleinwuchs und eine Pubertas präcox. Auch wenn viele Patienten ein Leben mit nur geringen Einschränkungen führen können, zeigen Langzeituntersuchungen, dass die NF 1 mit nicht unerheblicher Morbidität und auch erhöhter Mortalität assoziiert ist, so dass eine regelmäßige Betreuung sinnvoll ist.

Das vom NF 1 Gen kodierte Neurofibromin ist ein Signalprotein im sog. RAS-Signalweg. Fehlfunktionen führen zu einer gesteigerten Aktivität dieses Signalwegs. Mittlerweile sind eine Reihe von weiteren Erkrankungen identifiziert worden, die auf Mutationen von Genen zurückgehen, die Proteine diess Signalwegs kodieren. Diese Erkrankungen zeigen Überlappungen im klinischen Bild und werden als sog. RASopathien bezeichnet. Hierzu gehören das Noonan und das LEOPARD-Syndrom sowie das Costello- und das Velo-Kardio-Faziale Syndrom.