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Lysosomale Speichererkrankungen

Dr. Christina Lampe und Prof. Dr. Andreas Hahn

Lysosomen sind Zellorganellen, in denen komplexe Makromoleküle abgebaut werden, um deren einzelne Komponenten ausscheiden oder wieder verwenden zu können. Dieser Abbau erfolgt in Einzelschritten, an denen verschiedene Eiweiße (Enzyme) beteiligt sind. Bei Defekt eines dieser Enzyme stoppt der Abbau der Makromoleküle und sie häufen sich an (Abb. 1). Diese pathologische Speicherung führt zur Fehlfunktion der Zelle. Je nach Zählweise werden etwa 50-60 lysosomale Speicherkrankheiten unterschieden. Anhand des abnormen Speichermaterials können die Speicherkrankheiten in verschiedene Gruppen eingeteilt werden. Hierzu gehören:

  • Sphingolipidosen
    • z.B. M. Fabry, M. Farber, M. Gaucher, GM1- + GM2-Gangliosidosen.
    • Niemann-Pick-Krankheit Typ A, B + C
  • Mukopolysaccharidosen
    • MPS Typ I, II, III, V, VI, VII + IX
  • Oligosaccharidosen + Glykoproteinosen
    • z.B. Aspartylglukosaminurie, Fukosidose, Mannosidose, Sialidose, M. Schindler, M. Pompe
  • Lipidosen
    • M. Wolman
  • Andere
    • z.B. Neuronale Ceroidlipofuszinosen, Mukolipidose Typ II/III

Da Lysosomen in allen Zellen des Körpers vorkommen, handelt es sich um Multisystemerkrankungen. Deshalb ist die Symptomatik oft sehr vielgestaltig. Welche Organe vorrangig betroffen sind, hängt vom jeweiligen Speichermaterial ab. Alter bei Beginn der Symptomatik, Ausprägungsgrad und Verlauf sind abhängig von der Schwere des Enzymdefektes.

Die Betreuung von Patienten mit lysosomalen Erkrankungen erfordert Spezialwissen und eine enge Kooperation vieler ärztlicher und nicht-ärztlicher Fachdisziplinen. Daher sind Zentren wie das ZSEGI, die auf solche seltenen Erkrankungen spezialisiert sind, von eminenter Bedeutung.

Seltenheit, Variabilität des Krankheitsbildes und zu Beginn oft unspezifische oder mild ausgeprägte Symptome erschweren eine frühzeitige Diagnosestellung, was die Prognose negativ beeinflussen kann. Häufig ist es die Kombination an sich unspezifischer Symptome, die auf die Spur einer lysoosmalen Erkrankung führt. Eine frühe Diagnosestellung ist von eminenter Bedeutung, da es bei einer zunehmenden Zahl von lysosomalen Erkrankungen Therapiemöglichkeiten gibt. Deren Wirksamkeit ist in aller Regel umso besser je früher sie begonnen werden.

 

Diagnostik

Folgende Untersuchungen können zur Diagnosestellung einer lysosomalen Erkrankung sinnvoll sein und werden über das ZSEGI initiiert:

  • Nachweis von Speichersubstanzen im Urin
    • Vermehrte Ausscheidung von Mukopolysachariden / Glukosamino-
    • glykanen (GAG) oder Oligosacchariden
  • Nachweis von vakuolisierten Lymphozyten im Blutbild
  • Bestimmung der Chitotriosidase im Blut
  • Enzymaktivitätsmessung im Trockenblut (dried blood spot testing)
  • Enzymaktivitätsmessung in Leukozyten
  • Enzymaktivitätsmessung in angezüchteten Hautzellen (Fibroblasten)
  • Biopsie mit Nachweis von Speicherzellen/-material in betroffenen Geweben
  • Molekulargenetische Diagnostik (Einzelgen- oder Panel-Diagnostik)

 

Therapie

Für eine zunehmende Zahl von Speicherkrankheiten gibt es mittlerweile spezifische Behandlungsoptionen, die den Verlauf bei einigen Erkrankungen positiv verändert haben. Für einige Formen ist sogar mehr als eine Therapieoption verfügbar.

 

Enzymersatztherapie

Wichtigste und gut etablierte Behandlungsoption für eine Reihe von Speicherkrankheiten ist die Enzymersatztherapie (EET). Bei der EET macht man sich zu Nutze, dass alle von der Zelle für das Lysosom produzierten Enzyme mit einem spezifischen Marker (Mannose-6-Phosphat-Rest) versehen werden. Da sich Rezeptoren für diesen Marker auch auf der Oberfläche von Zellen befinden, kann in Bioreaktoren hergestelltes intaktes Enzym dem Patienten in ein- bis zweiwöchigen Abständen infundiert werden. Dies wird dann über die Mannose-6-Phosphat-Rezeptoren in die Zelle aufgenommen und ins Lysosom transportiert. Die Wirksamkeit der EET ist bei den einzelnen Formen allerdings unterschiedlich. Während Patienten mit Morbus Gaucher, einer Erkrankung, die mit Leber- und Milzvergrößerung, Blutungsneigung und Knochenschmerzen einhergeht, ein nahezu beschwerdefreies Leben führen, und bei Betroffenen mit Morbus Fabry durch frühzeitigen Therapiebeginn viele Organkomplikationen vermieden werden können, sind Skelettveränderungen und orthopädische Probleme bei Patienten mit Mukopolysaccharidosen deutlich schlechter beeinflussbar. Die Zahl der Speicherkrankheiten, die durch eine EET behandelt werden können, wächst stetig.

Ein zentrales Problem der EET ist, dass das Gehirn durch die sog. Blut-Hirn-Schranke abgeschirmt wird. Die infundierten Enzyme können diese Barriere nicht passieren. So haben sich bspw. bei Patienten mit Morbus Hunter (Mukopolysaccharidose Typ II) Lebensdauer und -qualität betroffener Jungen durch Hinauszögerung von Organkomplikationen mit Einführung der EET deutlich verbessert, doch lässt sich der Verlust geistiger und motorischer Fähigkeiten dadurch nicht aufhalten. Eine Möglichkeit dieses Problem zu umgehen, stellt die direkte Gabe des Enzyms in das zentrale Nervensystem dar. Dass diese Strategie erfolgreich sein kann, konnte am Beispiel der Neuronalen Zeroidlipofuszinose Typ 2 (CLN2) gezeigt werden. Hier kommt es bei bis dahin normal entwickelten oder leicht sprachentwicklungsverzögerten Kindern etwa ab dem 2. Geburtstag zu therapieschwierigen epileptischen Anfällen. Im 3. - 4. Lebensjahr wird dann eine rasch fortschreitende Hirnschädigung deutlich, die mit spastisch-ataktischer Bewegungsstörung, Sprachverlust und Sehminderung einhergeht. Ungefähr ab einem Alter von 7 Jahren sind betroffene Kinder dann blind, bettlägerig und können nicht mehr schlucken. Die Infusion des intakten Enzyms erfolgt alle zwei Wochen durch Punktion eines Reservoirs, welches unter der Kopfhaut implantiert und über einen Fortsatz mit den Nervenwasserkammern des Gehirns verbunden ist. Dadurch kann bei frühzeitiger Diagnosestellung der Verlust motorischer und geistiger Fähigkeiten verhindert werden.

 

Strategie des „Trojanischen Pferdes“

Eine alternative Möglichkeit, die sich derzeit noch in der Erprobung befindet, ist die Strategie des „Trojanischen Pferdes“. Hierbei wird das zu infundierende Enzym an ein anderes Eiweiß, welches die Blut-Hirn-Schranke passieren kann, gekoppelt, und gelangt so in das Gehirn.

 

Knochenmarkstransplantation

Für einige wenige Speicherkrankheiten wie z.B. die Mukopolysacharidose Typ I (Morbus Pfaundler-Hurler) kann der Verlust geistiger Fähigkeiten durch eine Knochenmarkstransplantation verhindert werden. Diese eingreifende Therapie ist aber nur wirksam und sinnvoll, wenn die Erkrankung anhand der Kombination an sich unspezifischer Symptome in den ersten beiden Lebensjahren diagnostiziert wird.

 

Chaperon-Therapie

Einen weiteren Therapieansatz stellt die Chaperon-Therapie da. Einige genetische Defekte bewirken, dass das Enzym zwar prinzipiell funktioniert, aber nicht die dreidimensionale Struktur annehmen kann, die für ein ordnungsgemäßes Funktionieren erforderlich ist. Chaperone (englisch für „Anstandsdamen“) sind Moleküle, die an die nicht korrekt konformierten Enzyme binden und dadurch deren Struktur und Funktion verbessern. Eine solche Chaperon-Therapie kann oral erfolgen und kommt z. B. für rund 40% der Patienten mit Morbus Fabry in Frage.

 

Substratreduktionstherapie

Eine weitere Option zur Behandlung von Speicherkrankheiten ist die Substratreduktionstherapie. Hierbei werden Medikamente gegeben, die schon die Bildung des Makromoleküls, welches nicht abgebaut werden kann, vermindern. Dadurch fällt dann weniger abnormes Speichermaterial an, was wiederum eine geringere Organschädigung bedeutet. Eine solche Therapie wird z. B. bei Patienten mit Morbus Niemann-Pick Typ C, einer Erkrankung die sich in jedem Lebensalter mit viszeralen und/oder verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Symptomen manifestieren kann, und die mit einer abnormen Speicherung von Sphingolipiden im Gehirn eingeht, angewandt.

 

Gentherapien

Große Hoffnungen werden auch in Gentherapien gesetzt. Dieser Begriff umfasst verschiedene Therapieansätze, die darauf abzielen, eine defekte Erbanlage durch ein gesundes Gen zu ersetzen, das Ablesen von Erbinformation zu verändern, oder die Enzymproduktion am Ribosom zu steigern. Bei der „in vivo“-Gentherapie wird ein gesundes Gen in einen sog. Vektor eingebaut. Hierbei handelt es sich um ein den Menschen nicht krankmachendes Virus, dessen eigentliches Genom zuvor größtenteils entfernt wurde. Dieses Virus wird dem Patienten dann einmalig injiziert, befällt die Zelle und gibt das intakte Gen frei. Das Gen wird in den Zellkern aufgenommen, und kann dort abgelesen werden. Dies ermöglicht anschließend die Produktion des fehlenden Enzyms. Aktuell werden bei verschiedenen Speicherkrankheiten Gentherapien in Studien erprobt, doch ist bis dato noch kein Medikament in Europa zugelassen worden.