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Kompetenzen Nierentransplantation

Nierentransplantation im Transplantationszentrum Gießen

Das Gießener Nierentransplantationsprogramm wird chirurgisch von Herrn Prof. Dr. W. Padberg (Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax-, Transplantations- und Kinderchirurgie am Standort Gießen und nephrologisch von Prof. Dr. R. Weimer (Leiter des Schwerpunkts Nierentransplantation an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II in Gießen sowie Sprecher des Gießener Transplantationszentrums) geleitet. Eine Vielzahl von weiteren Kliniken und Instituten sind an diesem Programm beteiligt, ohne die eine optimale Behandlung von Nierentransplantationspatienten nicht möglich wäre.

Die Nierentransplantation stellt die beste Therapie bei terminaler Niereninsuffizienz, d.h. einem endgültigen Versagen der eigenen Nieren, dar. Gegenüber der Durchführung eines Dialyseverfahrens kann sowohl die Lebensqualität als auch die Lebenserwartung des Patienten deutlich – je nach Lebensalter des Patienten - gesteigert werden. Dennoch ist im Einzelfall zu prüfen, ob Gründe gegen die Durchführung einer Transplantation sprechen. Auch mögliche Komplikationen einer Nierentransplantation sollten individuell erörtert werden. Weiterhin bestehen spezielle Programme bei Eurotransplant beispielsweise für ältere Patienten (65 Jahre oder älter), die bei älteren Spendernieren (Spender 65 Jahre oder älter) mit deutlich kürzeren Wartezeiten rechnen können. Ein spezielles Programm steht bei Eurotransplant auch für hochsensibilisierte Patienten zur Verfügung (sogenanntes Acceptable Mismatch Programm), also für Patienten, die in ihrem Blut eine Vielzahl von Antikörpern gegen Gewebemerkmale möglicher Nierenspender aufweisen. 

Das Nierentransplantationsprogramm wurde in Gießen 1993 begonnen. Bis Ende 2014 wurden insgesamt 828 Nierentransplantationen, davon 259 Lebendnierentransplantationen (31% aller Nierentransplantationen in Gießen)  und 53 simultane Nieren-/Inseltransplantationen bei Typ 1-Diabetikern durchgeführt. Ein Schwerpunkt des Gießener Transplantationsprogramms liegt seit Start des Programms im Bereich der Lebendnierentransplantation, die aufgrund der katastrophalen Organspendesituation in Deutschland das einzige Transplantationsverfahren darstellt, mit dem Patienten frühzeitig – idealerweise zum Zeitpunkt einer sonst notwendig werdenden Dialysebehandlung – behandelt werden können. Entsprechend sind die Transplantationsergebnisse in allen Registeranalysen 10-15% besser nach Lebendspende im Vergleich zur postmortalen Spende. Gießen stellt zusammen mit Frankfurt/Main die mit Abstand größten Lebendnierentransplantationszentren in Hessen. Auch wissenschaftlich wird das Programm begleitet. Dies führt ganz konkret zu Verbesserungen der Behandlungsverfahren (siehe unten). Ein weiterer Schwerpunkt liegt im Bereich der Blutgruppen-inkompatiblen (das heißt Blutgruppen-„unverträglichen“) und HLA-inkompatiblen Lebendnierentransplantation. Durch die hierdurch gegebenen zusätzlichen Möglichkeiten der Lebendnierentransplantation kann noch mehr nierenkranken Patienten die frühzeitige Möglichkeit einer Transplantation anstelle eines Dialyseverfahrens angeboten werden, mit der Konsequenz einer sehr deutlichen Reduktion der Mortalität und einer Steigerung der Lebensqualität. Wie unten aufgeführt, sind die Ergebnisse der Blutgruppen-inkompatiblen Lebendnierentransplantation mittlerweile völlig vergleichbar mit Blutgruppen-kompatiblen Lebendnierentransplantationen. Bei HLA-inkompatiblen, d.h. „HLA-unverträglichen“ Transplantationen, bei denen bereits vor Transplantation Antikörper gegen Gewebemerkmale des Spenders vorliegen, besteht je nach genauer Konstellation eines Spender-Empfänger-Paares, ein mitunter deutlich gesteigertes Risiko einer Antikörper-vermittelten Abstoßung nach Transplantation. Dennoch konnte auch für diese HLA-inkompatiblen Transplantationen in einer großen Studie der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (USA) ein erheblicher Überlebensvorteil im Vergleich zum Warten auf eine passende postmortal gespendete Niere bzw. im Vergleich zum Fortführen der Dialysebehandlung gezeigt werden (8-Jahres-Patientenüberleben bei HLA-inkompatiblen Lebendnierentransplantationen 81% gegenüber Warten auf eine passende postmortal gespendete Niere 49% bzw.  Weiterführen der Dialyse 31%; Montgomery RA et al, N Engl J Med 365: 318-326, 2011). In Gießen haben wir seit 2010 zunehmend solche HLA-inkompatiblen Transplantation mit sehr gutem Erfolg durchgeführt. Dabei erfolgt eine detaillierte Analyse und Besprechung der immunologischen Risikokonstellation vor Transplantation. Hochrisikopatienten mit sogenannten positiven lymphozytotoxischen Kreuzproben werden aktuell nicht akzeptiert. Es erfolgt eine spezielle Vorbehandlung vor Transplantation zur Entfernung der gegen den Spender gerichteten Antikörper.

Natürlich ist die Sicherheit des Lebendnierenspenders bez. körperlicher und psychischer Gesundheit ein besonders wichtiges Anliegen. Wir konnten in einer eigenen international veröffentlichten Untersuchung unserer ersten 106 Lebendspender bestätigen, dass die körperliche und psychische Gesundheit der Spender besser als in der Allgemeinbevölkerung vergleichbaren Alters war und es sich bei der Lebendspende – unter den in Gießen durchgeführten Untersuchungs- und Behandlungsbedingungen – um ein für den Spender sicheres Verfahren handelt (Albertsmeyer S et al, Transplant Proc 42: 3992-3993, 2010). Seit Juli 2014 beteiligt sich unser Zentrum an einer deutschlandweiten Studie unter Leitung der Unversität Münster zur Sicherheit des Lebendspenders („Safety of the Living Kidney Donor (SOLKID)“). Diese Studie, in der seit Juli 2014 bereits 12 aktuelle Lebendspender aus Gießen teilnehmen (Stand 1.7.2015), soll wichtige Fragen zur Lebendspende, wie z.B. geschlechtsspezifische Unterschiede, Depression/Ängste/Stressbelastung, Probleme bei Migranten oder psychosoziale Probleme prospektiv klären.  

Das Transplantationszentrum Gießen kann auch international hervorragende Transplantationsergebnisse aufweisen. So liegt das Transplantatüberleben nach postmortaler Spende bei 77% nach 5 Jahren (weltweite Daten: 72%) und 54% nach 10 Jahren (weltweit: ebenfalls 54%). Nach Lebendspende liegen die Gießener Ergebnisse deutlich über den weltweiten Daten (10 Jahres-Transplantatüberleben  77%, weltweit 66%). Die Zahlen stammen aus dem internationalen CTS-Register (Stand Februar 2015; siehe Abb. 1).

Abb. 1  Transplantatüberleben nach Nierentransplantation (Deceased = Nierentransplantationen nach postmortaler Spende; Living = Nierentransplantationen nach Lebendspende). Die weltweiten Daten (obere Abbildung)  umfassen Ergebnisse von 93242 Lebendnierentransplantationen und 238.298 Nierentransplantationen nach postmortaler Spende (Daten der Collaborative Transplant Study (CTS)), die zwischen 1990 und 2013 durchgeführt wurden. Die Gießener Daten sind unten dargestellt und zeigen die Ergebnisse von 247 Lebendnierentransplantationen und 497 Nierentransplantationen nach postmortaler Spende zwischen 1993 und 2013 (Stand des Follow-up: Februar 2015).

Das in Stockholm entwickelte Verfahren zur Blutgruppen-inkompatiblen Lebendnierentransplantation (ABOi LDNTx) wurde in Deutschland erstmals 2004 in Freiburg und mittlerweile in Deutschland über 900 mal erfolgreich durchgeführt. Durch dieses Verfahren konnten in den letzten Jahren die Lebendnierentransplantationszahlen in Deutschland gesteigert werden (Anteil der ABOi LDNTx in 2013 21%, in 2014 23%) und somit eine deutlich bessere Lebensqualität und Lebenserwartung für diese Patienten erreicht werden.  Allerdings ist in 2014 die Gesamtzahl der Lebendnierenspenden deutlich rückläufig (620 gegenüber 726 in 2013). Die mittelfristigen Ergebnisse der Blutgruppen-inkompatiblen Lebendnierentransplantation  (bis 5 Jahre nach Transplantation) aus Schweden und Deutschland sind vergleichbar gut wie bei den Blutgruppen-verträglichen Lebendnierentransplantationen. Dies wurde aktuell auch in internationalen Registerdaten (CTS-Studie) bestätigt (Opelz G et al, Transplantation 99: 400-404, 2015). Im Langzeitverlauf sind aufgrund von  Erfahrungen aus Japan mit älteren Behandlungsregimen keine Probleme durch die Blutgruppen-Inkompatibilität zu erwarten.

 

Behandlungsverfahren: Bei einer ABOi LDNTx werden die Patienten ca. 2-4 Wochen vor geplanter Transplantation mit Rituximab vorbehandelt, einem chimären monoklonalen Antikörper gegen CD20+ B-Zellen, um die Nachbildung von Antikörpern gegen die Spender-Blutgruppe zu hemmen. Je nach Höhe des Antikörpertiters (also der „Stärke“ des Antikörpers) werden die Patienten bis ca. 2 Wochen vor geplanter Transplantation stationär aufgenommen, die immunsuppressive Behandlung in der Regel mit der auch sonst üblichen und derzeit besten  Immunsuppression (Tacrolimus, Mycophenolat und Steroide) gestartet und die Blutgruppenantikörper gegen die Spender-Blutgruppe mittels gut verträglicher Blutgruppen-spezifischer oder -unspezifischer Immunadsorption (siehe Abbildung 1) auf einen Zieltiter von 1:8 gesenkt. Ist dieser Titer erreicht, kann die Transplantation erfolgreich durchgeführt werden. Hierzu werden noch einmalig menschliche „schützende“ Antikörper, sogenannte Immunglobuline (IgG 0,5g/kg) intravenös ca. 4 Tage vor Transplantation verabreicht und in der Regel eine auch sonst übliche Induktionstherapie mit Basiliximab durchgeführt (zweimalige Gabe eines sehr gut verträglichen Antikörpers zur Minderung der Abstoßungswahrscheinlichkeit). In den ersten 2 Wochen nach Transplantation müssen die Blutgruppen-Antikörpertiter gegen die Spender-Blutgruppe in gewissen Zielbereichen gehalten werden, in seltenen Fällen ggf. durch erneute Immunadsorptionsbehandlungen. Danach ist dies nicht mehr nötig, da die durchaus noch vorhandenen und auch in der Transplantatniere bindenden Blutgruppen-Antikörper durch Akkomodationsvorgänge keinen Schaden mehr anrichten.

Abbildung 2.  Durchführung einer Blutgruppen-spezifischen Immunadsorption mit Hilfe der GlycosorbÒ-Säulen. Dabei wird, ähnlich wie bei einer Dialysebehandlung, Blut aus dem Dialyseshunt oder einem Dialysekatheter entnommen. Das Blutplasma wird abgetrennt und über die GlycosorbÒ-Säule geführt, die spezifisch und hocheffektiv Blutgruppen-Antikörper gegen die Spenderblutgruppe entfernt. Anschließend wird das Blut dem Patienten wieder zurückgeführt. Mittlerweile werden, insbesondere wenn zusätzliche Antikörper gegen Gewebeantigene des Spenders vorliegen, auch blutgruppen-unspezifische Immunadsorptionsverfahren eingesetzt.

(Bild aus technischen Gründen entfernt)

Abbildung 3.  Blutgruppen-inkompatible Lebendnierentransplantationen in den deutschen Transplantationszentren 2008-2013 (Daten: Eurotransplant; Graphik: S. Hils, Universitätsklinikum Freiburg; die aktuellen Zahlen der deutschen Zentren für 2014 liegen noch nicht vor).

Das Verfahren der ABOi LDNTx wurde  2007 in Gießen gestartet und seitdem bei 40 Patienten (Stand 1.7.2015) erfolgreich durchgeführt.  Dies entspricht einem Anteil von 33% an den in diesem Zeitraum durchgeführten insgesamt 120 Lebendnierentransplantationen. Damit stellt Gießen das erfahrenste Zentrum in Hessen. Obwohl zum Teil äußerst hohe spenderspezifische Isoagglutinintiter („Antikörperstärke“ gegen die Spenderblutgruppe; Nachweis bis zu einer 8192-fachen Verdünnung des Serums) vorlagen, kam es lediglich einmal zu einer durch die Blutgruppen-Antikörper ausgelösten Abstoßungsreaktion, die jedoch effektiv medikamentös und durch gut verträgliche Blutgruppen-spezifische Immunadsorptionen behandelt werden konnte. Blutgruppen-inkompatible Lebendnierentransplantationen sind Teamwork. In Gießen sind 15 Institute bzw. Kliniken an einer solchen Transplantation beteiligt.

 

In einer detaillierten Auswertung unserer Ergebnisse im August 2014 konnten wir zeigen, dass die Ergebnisse auch in unserem Zentrum mit der der Blutgruppen-verträglichen Lebendnierentransplantationen vergleichbar waren. Obwohl bei 5 unserer Patienten Retransplantationen mit erhöhtem Abstoßungsrisiko (drei immunisierte Patienten bis zu einer Immunisierung von 96% sogenannter Panel-reaktiver Antikörper) durchgeführt wurden, konnten wir bei einem Follow-up von 0,3 bis 7,3 Jahren (im Mittel 3,3 Jahre) nach Transplantation ein funktionelles Transplantatüberleben von 94% erreichen bei im Mittel guter bis sehr guter Transplantatfunktion (mittleres Serumkreatinin bei Entlassung 1,5±0,1 mg/dl, bei der letzten Kontrolluntersuchung 1,7±0,1 mg/dl).

 

Schwerpunkte des stark klinisch und immunologisch orientierten Forschungsprogramms liegen im Bereich der Immunsuppression, der Transplantation immunisierter Patienten (Vorliegen von Antikörpern gegen Gewebeantigene des Spenders) und insbesondere der Lebendnierentransplantation. Prof. Dr. R. Weimer leitet seit 2010 eine prospektive Studie zur Behandlung mit Rituximab bei Blutgruppen-inkompatibler Lebendnierentransplantation in Zusammenarbeit mit der Universität Heidelberg (Prof. Dr. G. Opelz) und dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg (Prof. Dr. H.J. Gröne), der Gießener Transplantationschirurgie (Prof. Dr. W. Padberg) und einer Reihe von weiteren Kliniken und Instituten des Gießener Universitätsklinikums, insbesondere der klinischen Immunologie (Prof. Dr. G. Bein) und der Virologie (Dr. C. Schüttler). Durch Rituximab ausgelöste immunologische Effekte und Auswirkungen auf bestimmte Virusinfektionen bei  ABOi LDNTx  und Effekte durch die Lebendspende im Vergleich zur Transplantation nach postmortaler Nierenspende sind Schwerpunkte. Bisher konnten international ca. 10-15% der Blutgruppen-inkompatiblen Lebendnierentransplantationen nicht realisiert werden, da ein meist hoher Blutgruppen-Antikörpertiter nicht ausreichend gesenkt werden konnte. Ein wichtiges bisher erarbeitetes Ergebnis unserer Studie ist, dass diese sogenannten Drop outs  durch mehrfache Rituximab-Gaben verhindert werden können ohne das Risiko für bestimmte Virusinfektionen (insbesondere BK-Viren) zu erhöhen. So konnten wir bei allen unseren Patienten den für eine erfolgreiche Transplantation notwendigen Zielwert des Blutgruppen-Antikörpertiters erreichen. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass schwere Infektionen bei Rituximab-behandelten Patienten nicht häufiger auftraten.   

 

Stand des Beitrags: 1.7.2015